KEINE ANGST VOR DEN SECHZIGERN: BONNEZEAUX UND SAUCE NANTUA


Früher war alles besser. Oft gehört - vor allem in letzter Zeit - ist aber schon immer Blödsinn gewesen. Keiner Generation vor uns ging es jemals besser. Mehr Lebensstandard, mehr Lebensqualität und mehr Lebensdauer hatte niemals eine Generation vor uns. Trotzdem neige auch ich zum Schwelgen in den 60ern. Vor allem wenn Rezepte aus dieser Zeit für mich gekocht werden.


Mein Freund Johannes …

… hat ein ausgeprägtes Faible für die Küche der 60er und 70er Jahre. Er hortet Kochbücher aus dieser Zeit, die vor allem auch optisch die Grenzen des Wahnsinns berühren - die Polaroid getränkte Farbigkeit der Bilder, gepaart mit der Dekorationswut der Köche - Orangenscheiben! Petersiliensträusschen!! Preiselbeeren !!! - lässt eher an einen psychedelischen Trip, als einen genussvollen Abend denken. Aber gut, er liebt es, und zum Glück sind damals nur ein Bruchteil der Kochbücher erschienen, die heute die Auslagen der wenigen Buchhandlungen oder die Facebook-Profile der Foodblogger verstopfen. 



Johannes lud also wieder einmal die üblichen Verdächtigen zu Tisch, nicht zuletzt um gereifte Weißweine zu probieren. Ein Jeder ging also vorab brav in den Keller, um ein besonderes Fläschchen aus dem Bestand zu nehmen. 

Unser Maître startete mit Artischocke mit San Marzano Tomate, Anchovis und Brotchip. Dazu gab es einen 2008 Mas de Daumas Gassac Blanc. Das saß. Die kräftigen, salzigen und sauren Aromen des Gerichts und die Kraft des Weins harmonierten prächtig, jeder Bissen schrie förmlich nach einem Schluck Wein. Für einen Südfranzosen - zumal aus Viognier und Chenin Blanc gekeltert - war der Daumas Gassac erstaunlich frisch und vital, die kräftigen Ginster- und Garriguenoten hielten dem Salz der Fischchen und der Herbheit der Artischocke richtig Stand. Perfekter Start. 



Zum folgenden Hauptgang - Hechtklösschen in Sauce Nantua - sollten reife Rieslinge getrunken werden, der erste ein 2002 Pechstein von Buhl. Der schaffte es nicht ganz bis zu den Klösschen. Er war vorher ausgetrunken. Hätte ich nicht wirklich geglaubt, das mal schreiben zu können - aber der Pechstein war derart SÜFFIG, es gab kein Halten. Voller Frucht und Leben, sehr tief und gehaltvoll, das sicher. Aber dieser unglaubliche Zug, diese animierende Lebendigkeit lies keinen am Tisch los. Ein Wein auf dem absoluten Höhepunkt, besser kann er nicht werden. Nur noch anders. Aber so wie er jetzt ist, scheint er mir nahe der Perfektion. S-E-N-S-A-T-I-O-N-E-L-L !



Nun gut, dann musste eben der nächste Riesling als Begleiter herhalten. Münchberg Grand Cru 1991 von André Ostertag. Kein Petrol, zarte Frucht, frische Säure, überraschend vital und harmonisch. Kein lauter Kracher, ein ruhiger Ästhet. Spielte sein Können neben den Hechtklösschen aus, die ja im Original als Quenelles des Brochet auch im Elsaß beheimatet sind. Der Wein geriet in dieser Kombination mit seiner leisen Art ein wenig ins Hintertreffen, war aber auch kein wirkliches Wunder. Badeten die Klösschen doch in der legendären Sauce Nantua. Dieser leuchtend orangefarbene Gourmetklassiker zierte in den 60ern jedes zweite Standardwerk der gehoben Kochkunst, vor allem Monsieur Escoffier - und an keinen Geringeren hielt sich mein Freund Johannes bei der Umsetzung der Sauce - machte sich um diese Sauce verdient. Sie besteht aus 500 ml Béchamel Sauce, der 100 ml Sahne zugegeben werden und sodann auf ein Drittel reduziert wird. Diese Basis wird durch ein Haarsieb gestrichen und durch Zugabe von 100 ml Sahne und dem Unterschlagen von 40 g kalter Krebsbutter wieder auf eine sämige Konsistenz gebracht. (Das im Vorfeld erstmal die Bechamel gemacht werden musste und Johannes natürlich die Krebsbutter auch eigenhändig hergestellt hatte, lassen wir mal aussen vor. Klingt so viel einfacher.) Was soll man sagen - diese Sauce ist ein Meisterwerk. Nicht mehr, nicht weniger. Punkt. In Verbindung mit den überaus zarten, aber doch würzigen Hechtklösschen, eine perfekte Alliance. 



Der Abend war noch nicht vorbei, den Savennières ‚Clos du Papiilon‘ 1996 von Domaine du Closel oder den Meursaults Santenots 2000 der Domaine Marquis d’Angerville will ich nicht vorenthalten. Der Savennières hatte seine besten Jahre leider hinter sich, die Reifenoten waren doch schon sehr dominant. Interessant ja, aber kein wirklich großer Genuss. Da war der Meursaults Santenots ein anderes Kaliber, straff, sehr fest, die kernige Mineralität prägte ihn bis zum letzten Moment am Gaumen. Fängt gerade erst an Spass zu machen, braucht Zeit, in der Flasche und im Glas. Aristokratisches Weissweinvergnügen hätte man in den 60ern gesagt. 



Der Käse (Hartkäseauswahl plus Bleu de Basques) und das Dessert (Ziegenkäsebeignets mit Olivenschaum und pochierten Pfirsich) waren großartig. Und eine weitere Verbeugung vor der Kulinarik der Vergangenheit. Nur - das alles verblasste vor dem letzten Wein. Auf den ersten Blick deutete alles auf Cognac hin, mindestens ein Hors d’Age würde ich sagen, sattes Braun, deutlicher Rotstich, helle Reflexe, klar und doch dunkel. Auch im Mund diese Cognac Assoziation, Kaffee, Karamell, Nussbutter. Wenn da nicht die Säure und der geringe Alkohol wären … Bonnezeaux 1997 vom Chateau de Fesles, das wird sich in mein Gedächtnis einbrennen. 


Unfassbar diese Tiefe, die Länge, der minutenlange Nachhall. Das alles ohne die geringste Spur von Klebrigkeit, nur reiner, dunkler Geschmack. Wenn ich nach kurzer Recherche im Netz sehe, daß für dieses Monument im Durchschnitt gerade mal 60 € (Normalflasche) aufgerufen werden, weiß ich, wie ich meine Spargroschen zukünftig anlegen werde.




In Bonnezeaux und Sauce Nantua. 

Beliebte Posts aus diesem Blog

WER HAT'S ERFUNDEN? BASTURMA, PASTIRMA, PASTRAMI UND PASTRAMA

ORANGENMARMELADE: ACH DER HERR SIEBECK ...

Silvaner liebt Saibling liebt Spargel ...