DAS SCHWEIN IST EIN KRUSTENTIER ODER: SONNTAGSBRATEN


Rinderbraten mit Karotten. Schweinebraten mit Rosenkohl. Rouladen mit Rotkohl. Burgunderbraten mit Erbsen und Wurzeln. Der Sonntagsbraten meiner Jugend war nicht wirklich von kulinarischer Raffinesse geprägt, groß musste er sein, einen Haufen Sauce mitbringen, damit man die Salzkartoffeln darin zermatschen konnte. Das Gemüse war von bestenfalls tertiärem Interesse und, wie im Fall des Burgunderbratens, bevorzugt aus der Dose. Mehr war nicht am Sonntag. Und es war gut so.


Wenn ich in diesen längst vergangenen Zeiten der Adoleszenz - sic! - die Exzesse der Samstagnacht so langsam aus dem Körper geschlafen hatte, also gegen 13:00 h, weckte mich entweder der Trommelfell zerfetzende Ton der väterlichen Trillerpfeife (… er fand das originell mich auf diese Weise zu wecken …) oder der Duft aus der Küche, der langsam aber unaufhörlich unter meiner Zimmertür durchkroch. Beides hatte eine vergleichbar elektrisierende Wirkung auf mich, wenngleich mir die Duftvariante natürlich deutlich lieber war. Halb verschlafen, bestenfalls mit einem Kaffee gestärkt direkt an den Mittagstisch, das war das Höchste. Fleisch, Sauce, Mampf - die Lebensgeister kamen mit jedem Bissen in den gequälten Körper zurück, spätestens bei der zweiten Roulade war das System Scholl wieder voll in Betrieb. 

Nicht bei die Fische, trotzdem: Butter

All diese Erinnerungen gingen mir im Vorfeld durch den Kopf, als ich mich mental auf den Sonntagsbraten des Kollegen Vincent Fricke vorbereitete. Er hat mit einer Handvoll MitstreiterInnen unter dem einfachen wie passenden und schwer denglischem Slogan „Sonntagsbraten - a new urban tradition“ besagtes Mittagsessen am siebten Tag der Woche wiederbelebt. Nicht jeden Sonntag, aber doch so oft, dass man von einer gewissen Tradition sprechen kann. Da der gute Vincent auch ein glühender Verfechter der ‚Nose-to-tail‘ Bewegung ist, also kein Teil eines Tieres als edler oder unedler betrachtet und deshalb alles genussreich verarbeitet, kamen Teile von Lamm, Zicklein und Spanferkel auf den Sonntagstisch, die dort sonst eher selten anzutreffen sind.  
Meister aller Sonntagsbraten: Vincent Fricke

Bevor ich auf die kulinarischen Aspekte der sonntäglichen Verköstigung eingehen will, noch kurz ein paar Worte zum Setting. Die Mensa der Akademie der Künste ist werktäglich nicht wirklich ein Hort gehobener Tischkultur. Aber an diesem Sonntag waren die Tische liebevoll gedeckt und dekoriert, das gute Porzellan wurde rausgeholt, Stoffservietten und Blümchen waren eingedeckt, die guten Weingläser kamen zum Einsatz. Wirklich schön - und das meine ich völlig ernst! 

Gestartet wurde das Essen mit Brot und Butter, der ein wenig gerösteter Chili auf die Sprünge half. Dazu ein Gläschen Prosecco - das gabs zuhause nie! - und alles war gut. Zum Riesling von Breuer kam eine Sülze vom Lammbauch auf den Tisch, erfrischend und genau richtig bei der Hitze. Die später noch häufiger das Treiben am Tisch bestimmte. Aus dem angekündigten Zicklein mit Frischkäse wurde ein Kaninchen, aber das war egal, da hervorragend gebraten. Der Stallhase als solcher neigt ja bisweilen zum Austrocknen, Vincent hatte das gekonnt umschifft. 

Bräsig schlemmen, wo andere studieren: Akademie der Künste

Was er nicht umschiffen konnte, war die Sonneneinstrahlung. Der Stern knallte vom Himmel, die Tischgesellschaft suchte unter Sonnenschirmen Schutz vor der Strahlung. Spätestens beim Hauptgang, einem Spanferkelbraten, war so manches Gehirn weichgekocht. Jedenfalls wurden die Tischgespräche immer drolliger. Die Aussage „Tausche Kruste gegen Sonnencreme“ wollen wir gerade noch durchgehen lassen, bei dem Titelgebenden „Das Schwein ist ein Krustentier“ war das Niveau im freien Fall. das war auch bei den Sonntagen im Hause Scholl stets der Fall, je wacher ich wurde, desto blöder schwallten meine Schwester und ich daher. Leider ist vieles Gesagte im Dunkel der Jahrzehnte (Achtung! Kalauer!!) verschollen, es gab da noch kein Internet und so. Weshalb ich mich in diesem aktuellen Sonntagsgebrabbel auch an den Satz der Dame am Tisch halblinks von mir gehalten habe: „Schreiben Sie mit, das ist alles prüfungsrelevant!“
Krustentier in bester Gesellschaft:
Spanferkel | Fenchel | Mairübchen | Salzkrautgremolata

Nun denn. Es kam noch mehr Wein, das Spanferkel war wirklich sehr knusprig - das hatten wir ja schon - und es stellte sich eine wohlige Fülle des Bauches mit parallel einhergehender Leere des Großhirns ein. Sonntag eben. Es gab noch Kaffee und Torte, die gehört Sonntags auch dazu, den Schnaps habe ich mir geschenkt. Nicht übertreiben beim ersten echten Sonntagsbraten seit den Nuller-Jahren. Das hebe ich mir schön für die nächste Ausgabe auf. Denn soviel ist sicher: Da gehe ich wieder hin, wenn es ist. Und denke mir bis dahin:

„Ach Kinder, könnte nicht immer Sonntag sein?“ 


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